Annotations of Passing Landscapes

Pen Drawings | 20 x 29 cm | Ongoing Project since 2009

Train-drawings (selection)



Text von Magdalena Becker

Miriam Salamander beginnt 2009 mit ihren Annotations of Passing Landscapes in England, der Ort, an dem die ersten künstlerischen
Darstellungen von Eisenbahnen entstanden. Wo William Turner voller Faszination die in Dampf und Wolken gehüllte Eisenbahn malte,
zeichnet Salamander heute mit klarem Strich den Blick aus dem Zugfenster. Zeile um Zeile dokumentiert sie in eigenwilliger Notation eine
Partitur ihrer Reisen. Punkte und Striche, Geraden und Linien, Wellen und Bögen verdichten sich auf den gleichformatigen Blättern zu Papierlandschaften.
Im Vorbeifahren fixiert sie bewegte Topographien und erlebte Reisezeit und schafft so rhythmische Bilder zwischen Abfahrt und Ankunft.
So bilden die Spuren auf dem Papier und die Spuren der Schienen in der Natur ein Nebeneinander – die Notationen der Künstlerin sind weniger
nachträgliche Aufzeichnung sondern im Derridaschen Sinne grammatologische *Differenz. Die vorbeirauschenden Markierungen der Welt lösen sich
in abstrakte Formen auf, die sich auf dem Papier zu einer Zeichensprache des Reisens verdichten
– unendliche Verweise verbunden durch die rollenden und ratternden Räder des Zuges.

In der Zusammenschau der einzelnen Blätter, welche Miriam Salamander in Büchern, Heften oder Ordnern sammelt, ergibt sich ein serielles Archiv:
ein Atlas ohne Buchdeckel, in welchen stets neue Seiten eingefügt werden können. An den unteren Bildrändern dokumentiert sie in akribischer
Genauigkeit Datum, Ort und Zeitspanne der Aufzeichnung. Nicht zuletzt ist es damit auch eine Sammlung kurioser Ortsnamen.
Man mag an Hanne Darbovens Schreibpraxis erinnert sein, doch sind Salamanders Zeichnungen fragmentarischer als die geschwungenen
Aufschreibungen Darbovens, ohne jedoch an Dynamik und Präzision einzubüßen. Wo Darboven an der Zeile als ordnendes Element des Schriftbilds
festhält, lässt Salamander die Reihen ihrer Partitur zunehmend ineinandergreifen bis sich der Papierraum in eine flächige Karte auflöst.
Die zeitliche Dimension ihrer linearen Reisen verdichtet sich zu Sedimentschichten in der Zeichnung, die dennoch das Momenthafte der sich stetig
ändernden Natur nicht festhalten kann. So entsteht ein melancholisches Archiv vergangener Reisen und flüchtiger Naturerscheinungen
–vorbeiziehende Annotationen vergänglicher Landschaften.